Der „Down-Nie“
Er ging mit seinem besten Freund ins Kino. Einmal im Monat wagten sie es, in die Sneak Preview zu gehen und sich von einem Film, der bald anlaufen sollte, im Voraus überraschen zu lassen.
Die Fanta und das Popcorn schmeckten wie immer. Doch der Film, den sie sahen, der schmeckte ihm nicht. Er handelte von einem Jungen mit dem Down-Syndrom, der sich verliebte. Der hoffte, der küsste. Der Sex hatte. Der lachte und weinte. Der lebte.
Sein Freund und er verließen das Kino.
Später sagte er zu seiner Freundin: „Nur einmal bin ich vor dem Ende eines Filmes aus dem Kino gegangen.“
Jahre später klingelte diese Erinnerung wieder an der Eingangstür zu ihrem inneren Ohr.
Ein Arzt hatte ihr gesagt, dass sie vielleicht eine Behinderung habe. Vielleicht. Müsste überprüft werden. Ein kurzer Verdachtsmoment.
Das reichte schon. In ihm aktivierte sich das, was all die Jahre in ihm geschlummert hatte. Etwas, das er nicht ertragen konnte. Er ahnte nicht, dass ihn das Schicksal am Arm seiner schlechten Eigenschaft packte, ihn herumwirbelte und voller Wucht gegen die Wand der Ereignisse schleuderte.
Schon in der Schule war er aufgefallen, als er sich ein Opfer suchte. Das kleine Mädchen mit dem besonderen Gesicht, das durch eine Zangengeburt eine leichte Deformierung erfahren hatte.
Als seine Freundin schwanger war, lehnte sie die Untersuchung des Fruchtwassers ab. Sie sagte ihm, wenn das Kind eine Behinderung haben würde, würde sie es so lieben, wie sie es lieben würde, wenn es keine hätte.
„Dann verlasse ich dich“ sagte er.
Sie erinnerte, wie sie im Flur stand und ihn anschrie: „Dann mach das doch!“
„Down“ wollte er nicht sein. Er wollte oben mitspielen. Egal, wem er dabei auf den Kopf treten musste.
Seine eigene Behinderung sah er nicht.
Seine Besessenheit nach Reinlichkeit und Perfektion sah er nicht, die quälenden Gedanken, die ihn immer wieder heimsuchten, die gehörten nicht zu ihm, dieselben Handgriffe immer und wieder und wieder gaben ihm nur eine trügerische Sicherheit, sein zerstörerisches Kontrollbedürfnis interpretierte er als Willenskraft und Durchsetzungsstärke…
Kurzum:
Er war oben, er hatte mehr verdient.
„Down“ waren nur die anderen.
Und die waren es dann auch.
Zwangsläufig.
Nur einer war es nicht.
Der andere Mann, der ihr leise und zärtlich ins Ohr flüsterte: „Du bist etwas ganz besonderes. So jemanden wie dich… habe ich mir schon immer gewünscht.“