Hinter der Angst

Sie sagen

hinter der Angst
da wartet die Wut

und

hinter der Wut
da wartet die Trauer.

Sie sagen

sie warten auf ihren Auftritt
schon so eine lange Zeit,
hinter der Bühne der Emotionen.

Sie seien
die nicht geweinten Tränen,
die nicht gesagten Worte,
die nicht getanen Taten,
die nicht gereichte Hand,
der nicht gesprochene Gruß
und der abgewendete Blick.

Hinter der Bühne der Emotionen
tuscheln die Gefühle über sie:

„Was erzählen sie uns da?"
„Ich bin nicht ich?"
„Wer bin ich dann?"
„Was sollen wir jetzt tun?"

Doch zum Überlegen bleibt keine Zeit mehr. Der Vorhang hebt sich bereits.

Die Angst tritt zuerst vor, vollkommen wider ihrer Natur, dass sie sich als erste traut... aber sie spielt ihre Rolle gut. Schlotternd und zitternd spricht sie ihren Text, sodass auch dem Publikum ganz Angst und Bange wird.

Mittendrin platzt plötzlich die Wut hinein:
„Hört nicht auf die Angst! Sie ist nicht, was sie vorgibt zu sein! Sie ist nicht sie selbst! Ich sollte an ihrer Stelle stehen!"

Und dann erlebt das Publikum einen Wutanfall, dass die Bühnenbohlen beben.
Die Wut hat dabei natürlich ihren Text vergessen.

Die Trauer springt ein:
„Was die Wut eigentlich sagen wollte: Es schmerzt so sehr, dass Du nicht mehr da bist. Und genauso schmerzt es, dass wir es nicht gelernt haben, in Frieden und Freundschaft miteinander umzugehen."

Ein Sturzbach ergießt sich über die Bühne.
Schnell erreicht er die Sitzreihen. Das Publikum flieht. An der Kasse fordert es sein Geld zurück: „Wir wären fast ertrunken!"

Bedröppelt stehen die Angst, die Wut und die Trauer auf der Bühne. Sie blicken ratlos auf die leeren Sitzreihen.

Da betritt der Mut den Saal. Er watet durch das knietiefe Nass.

„Ach du Schande, was ist denn hier los? Einmal verpennt und schon setzt ihr den Saal unter Wasser? Euch kann man nicht eine Vorstellung alleine lassen!"

Er springt lässig auf die Bühne und drückt der Angst einen Kuss auf. „Na, Darling, was war los?"

Die Angst lächelt.
„Ich war heute richtig gut!"