Schatzmomente

Sie saßen am Fuße eines Baumes. Der Baum befand sich inmitten eines kleinen Wäldchens, das vom Wanderweg gerade nicht mehr einsehbar war. Die beiden hatten sich so positioniert, dass sie die untergehende Sonne verabschieden konnten. Alles um sie herum war in ein kraftvolles, goldrotes Schimmern getaucht: die Gräser, die sich sanft in der leichten Brise hin und her bewegten, die Blätter, die über ihnen leise rauschten und sie selbst auch. Sie saßen eng beieinander und spürten die Wärme ihrer Körper. Er legte seine Hand in ihren Schoß. Sie ergriff sie sanft und es überkam sie ein Gefühl, das ihr lange Zeit verschlossen geblieben war. Das Gefühl, geliebt und geschätzt, aufgehoben und allumfassend beschützt zu sein. Sie roch den Boden des Waldes. Einen Geruch, der ihr seit jeher zuverlässig Trost und Kraft gespendet hatte. Außerdem roch sie seinen Körper und es war ihr, als würde sein Geruch über ihre Nase geradewegs in die Mitte ihres Herzens führen. Er umschlang sie sanft mit seinen langen, schlanken Armen und sie spürte, dass auch er zufrieden war.

Jahre später, als sie dachte, sie würde unter dem Schmerz, den sie fühlte, zerbrechen, als sie dachte, die Last, die das Leben ihr aufbürdete, würde sie in die Knie zwingen, da holte sie diesen Moment wieder hervor. Diesen Moment mit all seinen Sinnesempfindungen. Den leichten Wind, den sie auf ihrer Haut gespürt hatte, seine Nähe und die Sonne.

Da wusste sie, dass es genau diese Momente waren, für die sich das Leben lohnte. An die man zurückdachte, wenn man einmal alt sein würde und darauf wartete, dem Leben Lebewohl zu sagen. Wenn Leistung, Besitz, Schönheit oder kurzfristige Befriedigung nicht mehr zählten. Wenn da nur noch die eigenen Gedanken und Erinnerungen waren. Und sie wusste, dass ihre Erinnerungen ein Schatz waren. Ein Schatz, den kein Schmerz und kein Leid ihr jemals rauben konnte. Der immer da war. Den sie hervorholen konnte, wann immer sie ihn brauchte. Und der zu jeder Zeit jedes noch so große Leid für einen Moment auslöschen konnte. Nach diesen Reisen in ihrer Erinnerung hin zu den Schatzmomenten war es anders in ihr. Sie schaute danach mit einem veränderten Blick auf Situationen, die ihr qualvoll erschienen. Immer wieder dachte sie dann: „Die Liebe ist größer als das Leid.“ Und so war es.