unendlich
Mit verbundenen Augen und ohne Worte hatte sie ihm ihr Herz in die Hand versprochen. Doch beide wussten, dass es nicht leicht werden würde. Sie wussten, dass sie beide durch ihre ganz persönliche Hölle geritten waren. Sie wusste es von ihm und er wusste es von ihr.
Sie hoffte insgeheim, dass all das Geschehene einem Geheimrezept folgte, einem Geheimrezept mit Erfolgsgarantie. Und sie wartete auf die erlösende Erfüllung, jeden Tag. Das Warten war zum Dauerzustand geworden. Sie wartete auf ihre Mittagspause, auf das Zur-Ruhe-Kommen am Abend, auf die Momente, in denen sie sich ihm hingab, auch wenn er nicht da war. Dann fand die Hingabe in ihren Gedanken statt.
Sie verbrachten jeden Sonntagnachmittag im Wald. Und wenn er nicht da war, dann tat sie es allein. Sie tat es, weil es ihre feste Verabredung mit ihm war. Nicht in den Wald zu gehen, das wäre wie ein Verrat an der gemeinsamen Zeit für sie gewesen. Irgendwo in ihr drin lag diese unerschütterliche Wahrheit, die viel mehr war als das, was alle anderen sahen. „Meine Frau“ hatte sie ihn sagen hören. Was für Worte! Es fühlte sich unmöglich an und doch irgendwie wahr. Und irgendwann kam ihr die Erfüllung dieses Wunsches unwichtig vor. Unwichtig deshalb, weil sie etwas verstanden hatte. Sie hatte verstanden, dass sie ihn sowieso immer lieben würde. Wenn er da war und auch wenn er irgendwann einmal nicht mehr wiederkommen würde. Es war nicht mehr wichtig. Sie wusste, was sie hatte und was sie nicht verlieren würde. Diese Liebe ließ sich nicht wie ein Bleistiftstrich ausradieren. Diese Gewissheit hatte sie, weil sie es so viele Male versucht hatte. Und immer und immer wieder die Erfahrung gemacht hatte, dass es unmöglich war. Die gemeinsamen Erlebnisse waren zu Erinnerungen geworden, die ständig präsent waren. Die Sehnsucht, diese Gefühle wieder zu spüren, war zur Normalität geworden.
Meistens lebte sie allein. Doch in ihren Gedanken lebte sie zu zweit. Sie erzählte ihm alles, vertraute sich ihm an und beschwerte sich bei ihm und trotz aller Widrigkeiten wuchsen sie zusammen zu einem Team, dass oft kopflos und viel zu konsequent handelte und alle grausamen Folgen schluckte. Nicht, dass sie nicht litten wie Tiere, aber sie taten es zu zweit. Beide auf ihre Weise. Und sie versuchten, es sich schön zu machen. Er musste ihr nichts sagen und sie musste ihm nichts sagen. Sie wussten, dass sie sich einander zumuteten und sie wussten, dass es verdammt weh tat. Aber sie lernten. Und wenn sie ihm sagte, dass sie für ihn noch dreimal durch diese Hölle gehen würde, dann glaubte er ihr.
Nur ganz selten drängte sich ein Gedanke auf: Ob es sich lohnt? Doch die Antwort war immer dieselbe: Wie kannst du solch eine Frage stellen? Wofür sollte es sich sonst lohnen? Die Menschen leiden wegen der Liebe. Und sie sind bereit, viel mehr zu ertragen, als sie eigentlich können. Das ist Wachstum. Wenn sie aneinander wachsen, dann ist es Liebe. Menschen bringen sich gegenseitig an Abgründe, die sich ohne das Zusammentreffen nie aufgetan hätten. Und vor dem Aufprall spannen sie Tücher, die das Aufprallen verhindern.
Ob sie es wieder tun würden? Scheiße ja. Wohin sollten sie noch fallen? Die Vorahnung auf das nächste Unglück war ja sowieso da. Zu sagen, dass sie keine Angst hätten, das wäre gelogen gewesen.
Aber irgendetwas stimmte einfach.